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Weil
der Vater zu dem Zeitpunkt, als seine Ehefrau Maria schwer an Krebs
erkrankt, in der noch relativ neuen Pfarrei in Haworth niemanden kennt
(er lebt seit einem Jahr dort), der ihn unterstützen könnte, wendet er
sich um Hilfe in seiner Not an die unverheiratete Schwester seiner Frau,
Elisabeth Branwell.
Diese
kommt ins Pfarrhaus, um ihre schwer kranke Schwester zu pflegen und sich
um den Haushalt mit 6 kleinen Kindern zu kümmern. Zunächst denkt
niemand, vor allem sie selbst nicht, dass sie für den Rest ihres Lebens
in Haworth bei Schwager und Familie bleiben würde.
Nachdem
Maria Brontë gestorben ist, unternimmt Pastor Brontë eine Reihe
Versuche, eine neue Frau zu finden. Seine letztlich erfolglosen
Unternehmungen in diese Richtung sind ein Kapitel für sich. So tritt er
z.B. an frühere Liebschaften heran, die er hatte sitzen lassen. Wer
sich ein wenig in die Gefühle einer verlassenen Frau hineinversetzen
kann, wird sich vorstellen wie diese auf die Briefe eines inzwischen
verwitweten Ex-Bewerbers mit 6 Kindern reagiert.
Als
deutlich wird, dass Patrick Brontë keine Frau mehr finden kann,
entschließt sich Elisabeth Branwell, sicherlich aus einem stark
religiös geprägten Pflichtgefühl heraus, bei ihrem Schwager zu
bleiben und den Haushalt zu führen.
Für
mich ist eine interessante Frage, die in der Fachliteratur, die ich
gelesen habe, nicht aufgegriffen wird: Warum können sich Elisabeth
Branwell und Pfarrer Brontë nicht entschließen, einander zu heiraten?
Sie sind etwa gleich alt, beide Mitte vierzig, und nach allem, was
bekannt ist, verstehen sich die beiden recht gut.
Die
Freundin Charlottes, Ellen Nussey, soll Tante Branwell in ihren späteren
Erinnerungen beschreiben:
"Miss
Branwell war eine sehr kleine altmodische Dame. Sie trug Hauben, die so
groß waren, dass ein halbes Dutzend Hüte nach der jetzigen Mode darin
Platz gefunden hätte, und viele falsche Locken von hellem
Kastanienbraun ringelten sich auf ihrer Stirn. Sie trug immer
Seidenkleider. Sie verabscheute das Klima im hohen Norden und die
Steinfußböden im Pfarrhaus. Es belustigte uns, wenn sie in Holzschuhen
umherklapperte, wann immer sie in die Küche gehen oder im Haus nach dem
Rechten sehen musste. Sie sprach viel über ihre Jugend, die Freuden
ihrer Heimatstadt Penzance in Cornwall usw.. Mit Bedauern erinnerte sie
sich an die verflossenen Tage und gab uns zu verstehen, dass sie so
etwas wie eine Schönheit in ihren Kreisen gewesen war. Sie schnupfte
aus einer hübschen goldenen Tabatiere, die sie gelegentlich mit einem
kleinen Lachen anbot, als habe sie ihre Freude an dem leichten Schock
und dem Erstaunen, das diese Geste bei ihrem Gegenüber auslöste. Im
Sommer verbrachte sie einen Teil des Nachmittags damit, Mr. Brontë vorzulesen. An den Winternachmittagen muss sie es genossen haben, denn
sie und Mr. Brontë mussten oft ihre Diskussionen über das Gelesene
abbrechen, wenn wir uns alle zum Tee trafen. Sie war sehr lebhaft und
aufgeweckt und vertrat ihre Meinung gegenüber Mr. Brontë ohne
Furcht."
Tante
Branwell sorgt 21 Jahre lang für die Familie ihres Schwagers. Bei all
ihrem Tun hält sie stets eine gewisse Distanz zu den Brontës. Den
Kindern drängt sie sich nicht als Mutterersatz auf. Und sie besteht auf
ihrer finanziellen Unabhängigkeit, indem sie von ihrer kleinen Rente
lebt und sich nicht für ihre Dienste von Patrick Brontë bezahlen lässt.
Elisabeth
Branwell scheint in gewisser Weise ein Freigeist gewesen zu sein: eine
mit Mitte 40 noch allein lebende Frau in solider gesellschaftlicher
Stellung mit einem großen Freundeskreis in ihrer Heimat Penzance. Diese
für eine Frau freiheitliche Lebensart hält sie in Haworth aufrecht und
vermittelt sie auch ein Stück weit an die Kinder. Die jüngsten Kinder,
Anne und Branwell begreifen Tante Branwell vielleicht am ehesten als
einen Mutterersatz. Branwell schreibt später in einem Brief an einen
Freund: "Ich wache nun am Sterbebett meiner Tante, die
vierundzwanzig (in Wirklichkeit 21!) Jahre lang wie eine Mutter zu mir
war. Ich erwarte, dass sie in einigen Stunden stirbt... Verzeih das
Gekrakel, meine Augen sind vom Kummer zu trüb, um recht zu sehen ...
und später: "Ich fürchte, ich rede etwas wirr, aber ich habe zwei
Nächte hindurch gewacht und bin Zeuge eines so qualvollen Leidens
gewesen, wie ich es selbst meinem schlimmsten Feind nicht wünsche; und
nun habe ich die Führerin und Leiterin all der glücklichen Tage
verloren, die mit meiner Kindheit verbunden sind." Tante Branwell
stirbt an Krebs, der Darmverschluss zur Folge hat.

Tafel in
der Kirche in Haworth
Die
älteren Kinder schätzen die Tante und haben Respekt vor ihr. Die Tante
legt in ihrer Kindererziehung sehr viel Wert auf religiöse Unterweisung
und bei den Mädchen auf Handarbeiten und Tätigkeiten im Haushalt. Wenn
die Kinder ihre häuslichen Pflichten erfüllt haben, lassen der Pastor
und seine Schwägerin ihnen auf der anderen Seite aber größere
Freiheiten, als dies gemeinhin für Kinder dieser Zeit üblich ist.
Handarbeit von Anne
Handarbeit von Emily
Handarbeit von Charlotte
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